Anne Rüffer
Bei uns in der Schule gab es früher diesen Ausdruck: «Darf ich mal in dein Butterbrot beissen?» Damit war die Aufforderung gemeint, das Mitgebrachte zu teilen und somit gemeinsam mehr von der Fülle unterschiedlicher Butterbrote zu haben. Ich habe mindestens immer die Hälfte abgegeben – auch wenn ich dann im Gegenzug etwas bekommen habe, was ich vielleicht gar nicht so gerne mochte. Aber es hat einfach dazu gehört. Ich fühle mich auch heute noch unwohl, wenn andere nicht mindestens das Gleiche haben können, was ich habe. Erst im Teilen erschliesst sich die Fülle des Lebens.
Diese Selbstverständlichkeit des Teilens und des Sicheinsetzens für andere hat mich schon mein Leben lang begleitet.
Es hat bei mir lange gedauert, bis ich meine Berufung gefunden habe, das lief über viele Umwege. Ich habe tatsächlich dreimal meinen Beruf gewechselt! Heute bin ich Verlegerin und wirklich in dem angekommen, was ich bis zum Schluss machen möchte: Bücher! Und Bücher verlegen!
Sich für andere aufrichtig freuen zu können, ist für mich die schönste Herausforderung, die es gibt!
Werte, die mich leiten
Was mich in meinem Schaffen und Wirken antreibt, sind die Fragen: Wozu dient etwas, wo kann ich etwas bewirken, wo etwas in Gang setzen, wo Verbindung herstellen? Es ist mir auch wichtig, immer wieder den eigenen Ermessensspielraum auszuloten. Dazu gehört natürlich auch festzustellen, wie viel Kraft einem zur Verfügung steht. Essenziell ist für mich das «Und». In meinem Verlag und im Austausch mit meinen Mitarbeitenden gibt es keine aber-, sondern nur und-Sätze. Das ergibt eine ganz neue Qualität in der Zusammenarbeit.
Ein weiterer Wert ist für mich die Fähigkeit, sich mit jemand anderem mitzufreuen. Das ist ungeheuer schwer! Ich merke selber, wie ich da immer wieder anstosse. Sich echt zu freuen, wenn jemand anderes einen Job bekommt, ein erfolgreiches Buch herausbringt oder einen Preis erhält, verlangt viel menschliche Entwicklung und ist gleichzeitig das beste Heilmittel für alles, was einem jemals im Leben bedrückt hat.
Wofür ich mich einsetze
Ich habe das enorme Privileg, meinen Tag mit dem zu verbringen, was ich am liebsten mache: Bücher. Und das andere grosse Privileg ist mein Engagement für die Right Livelihood Foundation – als Präsidentin der Schweizer Stiftung und als Mitglied der internationalen Jury. Ich könnte stundenlang von den Lösungen für eine lebensfreundliche Welt berichten, die unsere Preisträger und Preisträgerinnen entwickeln und in ihren Ländern bereits erfolgreich umsetzen. Das sind keine hoch dotierten CEOs, sondern einfache Menschen, die ihr Leben aufgrund eines Missstandes der (positiven) Veränderung gewidmet haben. Mit solchen Menschen zu tun zu haben – ja, mithelfen zu dürfen, sie für die Auszeichnung auszusuchen – ist ein aussergewöhnliches Geschenk für mich.
Ich hoffe, ich kann diese Arbeit noch lange machen. Solange ich Kraft habe und bei Verstand bin.