Was ist ein «Erinnerungsschatz»?

Ein Erinnerungsschatz ist ganz sachlich gesagt eine Dienstleistung. Es geht dabei darum, den Menschen zu helfen, das, was für sie im Leben wichtig war und immer noch ist, in Form eines Buches zu erfassen. Und es so zu bewahren. Sowohl retrospektiv mit den eigenen Erinnerungen und Erlebnissen, aber auch zukunftsgerichtet, indem sie ihren Angehörigen Wünsche, Hoffnungen, Werthaltungen, Lebensmotive oder Mitteilungen übergeben.

Wieso ist das Sammeln von Erinnerungen etwas Wertvolles?

Weil es im Kern immer um die Frage geht, wie wir in Beziehung waren. Also wie wir uns getragen gefühlt und wie wir auch selbst unser Umfeld getragen haben. Diese Beziehungsebene enthält viele wichtige und entscheidende Erlebnisse. Gutes und Schwieriges, das wir beispielsweise mit anderen Menschen geteilt, erlebt und durchgestanden haben. Indem wir uns erinnern und diese Erinnerungen sammeln, legen wir gleichsam einen roten Faden in unser Leben und stiften dadurch Sinn und Bedeutung. Die Arbeit und Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungsschätzen schenkt den Menschen einen anderen Blick auf das eigene Leben und vor allem ein gutes Gefühl mit sich selbst. Das Heben des Erinnerungsschatzes ist ein Abrunden des eigenen Lebens.

Wie hebt man Erinnerungsschätze?

Es gibt verschiedene Phasen. Wir setzen uns zuerst mal zusammen und ich erkläre, um was es geht und wie die einzelnen Schritte aussehen. Dann gibt es einen Leitfaden mit Fragen, die für die bevorstehende Erinnerungsarbeit von Relevanz sind. Beispielsweise Fragen zur Biografie oder zur Weitergabe von Erinnerungen an Angehörige. Dann setzen wir uns wieder zusammen. Nun beginnt das Erzählen und ich nehme das Gespräch auf, mache Notizen und frage immer wieder nach, ob ich das Gesagte richtig verstanden habe. Nach dem Prozess des Verschriftlichen gebe ich den Erinnerungsschatz an die Person zum Durchlesen. Am Ende dieses Prozesses erhält die Person ein Buch in fünffacher Ausführung mit den persönlichen Erinnerungen. Das können die Personen entweder behalten oder eben an ihre Liebsten weitergeben. Gerne lese ich ihnen auch aus dem Buch vor. Es ist beachtlich, was es mit einem macht, wenn man die eigene Geschichte vorgelesen bekommt.

Es ist beachtlich, was es mit einem macht, wenn man die eigene Geschichte vorgelesen bekommt.

Michael Kreuzer

Wie sind Sie auf die Idee mit dem «Erinnerungsschatz» gekommen?

Der Ursprung kommt aus der würdezentrierten Therapie, welche in der Palliativmedizin oft bei Menschen an der Schwelle zum Tod angewendet wird. Sie erlaubt Menschen, die Abschied nehmen müssen, nochmals zu erzählen, was ihnen wichtig und wertvoll im Leben war. Das hat mich sehr inspiriert und ich dachte, es wäre eigentlich schön, wenn Menschen diese sinnstiftende Arbeit schon viel früher machen könnten – nicht erst dann, wenn sie auf dem Sterbebett liegen.

Was fasziniert Sie persönlich an dieser Arbeit?

Diese Arbeit ist auch für mich ein riesiger Schatz. Von Menschen zu erfahren, was für sie wichtig war, ist für mich etwas sehr intimes und kostbares. Schlussendlich wird über Themen gesprochen, die unser Leben ausmachen, nicht ob das Benzin 20 Rappen teurer geworden ist oder nicht. Wenn die eigene Endlichkeit im Raum steht, werden wir alle wieder gleich und roh. Wir reduzieren uns auf unsere Grundbedürfnisse und die sind am Ende des Tages bei allen Menschen die gleichen, egal wie wir sonst durch das Leben gehen. Das schafft für mich eine starke Verbindung, Beziehung und Berührung mit anderen Menschen. Das ist mein Schatz.